Überlegungen zu den methodologischen Grundlagen zum Thema Konfliktbearbeitung in der Mediation
– basierend auf den philosophischen Denkansätzen Edmund Husserls
Treffen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, Erwartungen, Werten und Zielsetzungen aufeinander, sind Diskussionen unausweichlich.
Sie gehören zum Alltag, sind Teil des beruflichen und privaten Lebens.
Worin unterscheiden sich Diskussionen von einem Konflikt?
In Diskussionen mit noch so strittigen Meinungsverschiedenheiten sind die Beteiligten an den Gesprächsinhalten des jeweils anderen durchaus interessiert. Hingegen in Konflikten empfinden sich die Betroffenen von ihren Gesprächspartnern völlig unverstanden. Die Beziehung ist allgemein stark beeinträchtigt und die Lösung des Konfliktes wird ausschließlich in der Veränderung des Verhaltens des anderen gesehen. Je weiter sich der Konflikt entwickelt, je länger dieser andauert, desto unwahrscheinlicher erscheint eine Befriedung.
Offen ausgetragene Konflikte im privaten und beruflichen Umfeld werden eher gemieden, doch sie können einen Klärungsprozess bewirken, der den Betroffenen neue Entwicklungen und Chancen ermöglicht. Gemeinsamkeiten, wie auch Unterschiede und Vielfalt können sicht- und nutzbar gemacht und in der Folge Ausgangspunkt für neue Ideen in einem konstruktiven Miteinander und einer positiv gestimmten Zukunft werden.
Was definiert ein Konflikt? Wie kann sein Wesen gedanklich erfasst werden?
Ein jeder Konflikt hat in sich selbst einen Eigensinn, welcher erfasst, analysiert und in eine konstruktive Richtung transformiert werden kann.
èDie Differenzierung in Tatsache und Wesen
Den Medianden in der Mediation gilt ihr Konflikt dadurch, dass sie diesen erfahren, wahrnehmen, sich an (Streit-) Gespräche erinnern, daran denken, beurteilen, werten …. [1]
Betrachtet als Tatsache ist ein Konflikt so „wie er ist“. Der Sinn von diesem „es ist so“ ist nicht nur ein individueller. Ein jeder Konflikt hat „in sich selbst“ ihm zukommende Besonderheiten, einen Bestand aus wesentlichen Prädikabilien (= allg. definiert: Aussageweisen). [2] Ergründet man das Wesen eines Konfliktes, wird dieses „selbsteigene Sein“ mit all seinen Aussagen als sein Was Vorfindliche betrachtet. Ein jedes solches Was kann wiederum „in Ideen gesetzt“ werden; sprich: Das Erschaute / Ergründete wird in „Wesensschauung“ (Ideation) umgewandelt. [3]
Durch die Differenzierung in Tatsache und Wesen entsteht eine wertneutrale Betrachtung der Konfliktinhalte und durch das Aufzeigen des „selbsteigenen Seins“ dieser Inhalte, können diese von den Betroffenen aufgedeckt und in eine konstruktive Richtung transformiert werden.
èDie transzendentale Komponente in der Analyse des Konfliktes
Ein jeder Konflikt ist bewusst Seiendes. Geht man zu diesem bewussten Seienden auf Distanz, sprich: enthält man sich jedes Vollzuges, geht der Blick ausschließlich auf die „Konfliktinhalte selbst“. Der reale Konflikt wird in seiner Seinsgeltung sekundär, der transzendentale Aspekt (lat.: transcendere = übersteigen, hinübersteigen; …) [4] tritt hervor und verwirklicht den „reinen Konflikt“ mit den reinen Manifestationen seiner Inhalte / Gedanken, die betrachtet, ausgelegt und beschrieben werden können. [5]
Edmund Husserls „Transzendentalität“ unterscheidet sich erheblich von den gängigen Definitionen. Die Vorstellung von Transzendenz als das Überschreiten der Welt hin zum Göttlichen, so wie es die Theologie beschreibt, ist so wenig gemeint, wie die Vorstellung von Transzendenz als etwas, das jenseits menschlicher Erfahrung und Bewusstsein liegt, so wie es Immanuel Kant darlegt. Husserls Transzendenz ist untrennbar mit dem Sein des Menschen in dieser Welt verbunden. Durch das sich Enthalten jeglichen Vollzuges des „bewusst Seienden“ überschreitet der Mensch nicht eine Grenze zu etwas anderem, sondern er begegnet seinen Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen als ein Gegenüber, welches betrachtet, erforscht und beschrieben werden kann.
Eine Vorstellung von Transzendenz, die der Mediation durchaus entgegenkommt. Es wird der Konflikt nicht einfach mal gedanklich vom Träger getrennt. Das, was den Konflikt bestimmt, kann auf eine „höhere“ Ebene (einer Metaebene) gehoben und sowohl vom Mediator als auch den Medianden in seiner ganzen Vielschichtigkeit und Besonderheit erkannt werden.
Die Miteinbeziehung der transzendentalen Komponente lässt auch die Bedeutung der Reflexion tiefgründiger verstehen.
èDas Kriterium der Reflexion
Das Ergründen der Inhalte eines Konfliktes beginnt in der Reflexion. (Husserl: „…. als Umwendung des vordem anders gerichteten Blickes.“) [6]
In der Reflexion wird die bewusste Erfahrung inhibiert und der subjektive Sinngehalt erfassbar. Übertragen auf den Konflikt bedeutet dieser Gedankengang: Es wird der Konflikt „als solcher“ offengelegt und darin mitbegründet der jeweilige Bewusstseinssinn in seinen verschiedenen Modi (Wahrnehmungssinn, Erinnerungssinn etc.) [7]
Die Medianden dazu zu bewegen, ihre Gedanken offenzulegen, ist bereits ein wichtiger Schritt im Verstehen dessen, was ihren Konflikt bestimmt, aber es ist das Heranführen in die Reflexion des Gesprochenen, das in der Befriedung von essentieller Bedeutung ist. Über das Reflektieren können die intentionalen Wahrnehmungsstränge der Konfliktinhalte aufgedeckt werden.
èDas Kriterium der Intentionalität
Die allgemeinste Erkenntnis bzw. der allgemeinste Wesenscharakter eines Konfliktes ist, dass dieser „Bewusstsein von“ von dem ist, was diesen ausmacht: von seinen Gedanken, Begründungen, etc. [8] Sie zählen zu den „intentionalen Wahrnehmungsstränge“ des Konfliktes. [9]
Ein jeder Konflikt charakterisiert sich durch eine ihm spezifische intentionale Gesamtform und einen Aufbau, der in der Analyse immer wieder auf Komponenten führt, die selbst intentionale sind.[10] Im Achten auf diese Erscheinungsweisen und über die Art und Weise der Synthesis (= der Verknüpfung) erkennt man, dass jede Phase des Konfliktes schon für sich „Bewusstsein von“ ist, derart, dass die Bildung neuer Phasen ihren Ursprung immer in ein und demselben Anfang hat. [11] Aus den intentionalen Wahrnehmungen entstehen dem Konflikt typische Ausformungen, mögliche Abwandlungen, Synthesen zu neuen Bedeutungssträngen. Insgesamt betrachtet lässt sich ein struktureller Aufbau elementarer Intentionalitäten erkennen, die durchforscht werden können und eine deskriptive Beschreibung der Konfliktinhalte ermöglichen. [12]
èDas Kriterium der Synthesis
In der Reflexion sind die Inhalte eines Konfliktes als Einheit bestimmt zugehöriger Erscheinungsweisen gegeben. Ihre Einheit ist Einheit der Synthesis. [13] Deren Grundform ist die der Identifikation, sprich, dass in Einklang bringen der Erscheinungsweisen, unabhängig davon, auf wie viele Weisen diese wahrgenommen werden.
Dieser Gedanke, übertragen auf eine Mediation, berührt bereits die Art und Weise, wie die Fragestellungen zur Erfassung des Konfliktes vorgenommen werden sollten. Ist der Sinngehalt der Antworten zu allgemein gehalten oder zu zusammenhanglos bzw. beliebig, wird das Beachten der intentionalen Wahrnehmungsstränge und damit verbunden ihrer Synthesen ins Sinnlose geführt.
èDas Kriterium der Evidenz
Evidenz (= Einsichtigkeit von etwas, …) [14] bezeichnet einen wesensmäßigen Grundzug der Intentionalität, die ausgezeichnete Bewusstseinsweise des Sich-selbst-darstellens eines Sachverhaltes (einer Allgemeinheit, eines Wertes usw.), unmittelbar anschaulich, originaliter gegeben. [15]
In einer Mediation Evidenz kreieren, heißt: für den Medianden einen (synthetischen) Weg zu entwerfen, welcher von seinen / ihren ambivalenten, konfliktären Gedanken zu entsprechenden klaren, versöhnlichen Gedanken führt, ein Weg, der implizit den konstruktiven Sinngehalt bereits in sich trägt. [16]
[1] Vgl. Husserl Edmund, Cart Med § 7, 57f
[2] Vgl. Husserl Edmund, Tatsache und Wesen, in: Die phänomenologische Methode, Reclam, 1990, S. 100
[3] Vgl. Husserl Edmund, Tatsache und Wesen, 1990, S. 101
[4] Vgl. ….; transzendental: vor jeder subjektiven Erfahrung
liegend und die Erkenntnis der Gegenstände an sich erst ermöglichend bzw. die Erkenntnis von der Möglichkeit der Anwendung des Apriorischen auf die Erfahrung,
seiner Geltung für diese und deren Gegenstände. Transzendental ist ferner alles, was sich auf die Bedingung möglicher Erfahrung, auf die der Erfahrung (logisch) vorangehende Voraussetzung
derselben bezieht.
https://www.duden.de/rechtschreibung/transzendental;
https://www.textlog.de/eisler/kantlexikon/-transzendental
[5] Vgl. Husserl Edmund, Cart Med § 7, 57f
[6] Vgl. Husserl Edmund, Britannica-Artikel, 1990, S. 197
[7] Vgl. Husserl Edmund, Britannica-Artikel, 1990 S. 201,202
[8] Vgl. Husserl Edmund, Britannica-Artikel, 1990, S. 197
[9] Vgl. Husserl Edmund, Die phänomenologische Fundamentalbetrachtung, 1990, S. 152
[10] Vgl. Husserl Edmund, Britannica-Artikel, 1990, S. 199
[11] Vgl. Husserl Edmund, Britannica-Artikel, 1990, S. 199
[12] Vgl. Husserl Edmund, Britannica-Artikel, 1990, S. 200
[13] Vgl. Husserl Edmund, Cart Med § 17, 77f
[14] Vgl. …., dass aus der Sache heraus einleuchtet und sich uns entweder unmittelbar, schlagartig,
intuitiv und als gewiss in seiner Gegebenheit zeigt, von uns in seiner Wesenheit ganzheitlich erschaut bzw. vernommen wird, oder mittelbar durch Ableitung aus einem per se
Einsichtigen gewiss wird.
https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/evidenz/659
[15] Vgl. Husserl Edmund, Cart Med § 24, 92f
[16] Vgl. Husserl Edmund, Cart Med § 25, 93f